Trauer, Trennung, Verlust: Wenn der Schmerz nicht enden will
Der Tod eines geliebten Menschen ist eine eindringliche Erfahrung, die uns in den Grundfesten unserer Persönlichkeit erschüttert. Trauernde verstehen die Welt, sich selbst und oft auch das Schicksal nicht mehr. Trauer bedeutet, nicht nur den Verlust verarbeiten zu müssen, sondern uns auch der eigenen Vergänglichkeit zu stellen. Die Ärztin und Psychotherapeutin Claudia Neumann erklärt, warum wir Verlusterfahrungen betrauern müssen.
Was macht Trauer mit einem Menschen?
Es gibt meines Erachtens keinen anderen emotionalen Prozess, der mit einem so tiefgründigen seelischen Schmerz verbunden ist wie die Trauer. Da mischen sich Fassungslosigkeit, tiefste Verzweiflung, Ruhelosigkeit und das Gefühl, vor Schmerz verrückt zu werden mit der Ohnmacht über die Unumkehrbarkeit. Wir denken bei Trauer natürlich immer zuerst an den Tod eines geliebten Menschen. Aber Trauer empfinden wir auch bei anderen Verlusten. Sei es die Trennung vom Partner oder der Augenblick, wenn die Kinder das Elternhaus verlassen. Auch der Verlust des Arbeitsplatzes der Übergang in den wohlverdienten Ruhestand oder der beruflich bedingte Umzug in eine andere Stadt lösen Trauer aus. Und nicht zuletzt gilt es auch, vergangene und verdrängte schmerzliche Erlebnisse oder den Verlust der Gesundheit zu betrauern.
Wie viel Trauer ist normal?
Trauer ist ein enorm wichtiger Prozess, der nicht als Schwäche abgetan werden darf. Trauer muss durchlebt werden, denn unverarbeitete Trauer macht auf Dauer krank. Wie viel Trauer normal ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Zwei Menschen trauern nie auf dieselbe Art und Weise. Im Allgemeinen ist die Trauerarbeit nach einigen Monaten soweit abgeschlossen, dass wir wieder Hoffnung schöpfen, die Realität annehmen können und in das alltägliche Leben zurückfinden. Natürlich bleiben immer Narben auf der Seele zurück, aber es sollten keine Wunden mehr sein.
Gibt es so etwas wie einen Fahrplan, nach dem man sich beim Tod eines geliebten Menschen richten kann?
Trauer läuft in verschiedenen Phasen ab, die nicht zwangsläufig bei jedem Menschen und nicht in einer festgefügten Reihenfolge auftreten. Es ist hilfreich, diese Trauerphasen zu kennen, um sich nicht ausgeliefert zu fühlen oder sich dagegen angstvoll zu wehren. Am Beginn der Trauer steht immer der Schock. Jeder kennt das Gefühl: Wenn der Schmerz überwältigend wird, sind wir wie betäubt. In dieser Phase ist es besonders wichtig, die alltäglichen und erforderlichen Aktivitäten beizubehalten. Auch wenn wir gerade in dieser Phase von vielen Menschen umgeben sind, die uns gut gemeint jede Aufgabe abnehmen möchten.
Welche Phasen gehören noch zum Trauerprozess?
Die größte Hürde besteht sicher darin, den Verlust emotional zu akzeptieren. Wir müssen uns gestatten, die Gefühle zuzulassen. Niedergeschlagenheit, tief empfundene Einsamkeit und einen Zustand höchster Verzweiflung erleben alle Menschen im Trauerprozess, ganz gleich, wie jemand trauert. Jeder Verlust hat auch eine existentielle Dimension, ist ein tiefer Einschnitt in unserem Leben und deshalb reagieren viele Menschen im Trauerprozess auch mit Panik. Oft entwickeln Trauernde Schuldgefühle, manchmal auch Wut und Groll über den Verlust. Sie fragen sich dann: Womit habe ich das verdient? Warum wurde mir das angetan? Doch irgendwann keimt wieder Hoffnung auf, gibt es Momente der Freude neben dem Schmerz und langsam beginnt die Rückkehr in das Leben.
Wann schlägt Trauer in eine Depression um?
Dies ist in jeder Phase des Trauerprozesses möglich. Wir sprechen dann zunächst von einem protrahierten, also einem verzögerten Trauerprozess. Ich habe Patienten erlebt, die über Monate hinweg im Zustand der Schockstarre verharrten und darunter litten, dass sie den Verlust nicht beweinen konnten. Ebenso wie Patienten, die noch nach vielen Jahren unter schweren, unbegründeten – sprich neurotischen – Schuldgefühlen litten. Unabgeschlossene Trauerprozesse oder verdrängte Trauer können zu Depressionen führen, Doch auch viele körperliche Leiden und Krankheiten sind auf unbewältigten Kummer zurückzuführen.
Wie weit ist die Trauerforschung?
Schon Freud hat sich mit Trauer und Melancholie beschäftigt, wobei er Trauer als eine normale und Melancholie als eine krankhafte Reaktion beschreibt. Das Konzept der Trauerphasen wurde jedoch erstmals 1944 von Erich Lindemann, einem Psychiatrieprofessor aus Harvard, vorgestellt und war sicher bahnbrechend für das Verständnis der Trauer. Die Trauerforschung selbst ist ein sehr junges Fachgebiet und befindet sich noch in der Entwicklung. Erste Studien zur Trauer und ihren Wirkprozessen werden seit Mitte der 1970er Jahre durchgeführt.
Welche Spuren hinterlässt die Trauerarbeit bei Menschen?
Jeder Mensch, der in seinem Leben eine schwere Verlusterfahrung gemacht hat, weiß, dass man nicht einfach umkehren und sein Leben an dem Punkt wieder aufnehmen kann, wo es vor dem Verlust endete. Verluste und Trauer sind mit einem tiefgreifenden Wandlungsprozess der Persönlichkeit verbunden. Selbst aus der schmerzlichsten Trauer können wir gestärkt und bereichert hervorgehen, wenn wir bereit sind, uns offen und aufrichtig mit dem Verlust auseinanderzusetzen.
Quelle: openPR
bisher keine Kommentare
Comments links could be nofollow free.