Was tun gegen Bumerang-Kids und Nesthocker?
Wie Eltern den Loslösungsprozess ihr Kinder fördern können.
In einer Studie über die Ablösung im Erleben junger Erwachsener aus verschiedenen Famileinenstrukturen* wird festgestellt, dass Eltern häufig der Meinung sind, das Selbstständigkeit von alleine kommt. Eltern zweifeln oft daran, dass ihre bereits studierenden Kinder alleine zurechtkommen.
Wie können Eltern ihre Kinder dabei unterstützen selbstständig zu werden und sich gut von den Eltern zu lösen? – Ein Erfahrungsbericht.
Ich dachte ich hätte es geschafft! Als meine jüngste Tochter am Tag ihres 18. Geburtstages freudestrahlend ihr Abiturzeugnis entgegennahm, war ich zuversichtlich, dass auch die letzten notwendigen Schritte, die Loslösung von uns Eltern und der Start in ein selbstbestimmtes eigenes Leben für meine Tochter machbar sein würden, und dass die „Altlasten“, die wir ihnen mit auf den Weg gegeben haben, zu bewältigen sind.
Und genau der Gedanke ließ mich innehalten.
Wie war das denn eigentlich bei mir? Habe ich mich nach dem Abitur von meinen Eltern gelöst und bin ich wirklich meinen eigenen Weg gegangen? Oder trug ich noch schwer an den „Altlasten“ meiner Eltern?
Die Lasten aus meiner Herkunftsfamilie waren noch sehr spürbar und wenig verarbeitet und mir wurde mir bewusst, dass ich diesen Schritt, den ich da von meiner Tochter erwartete, selber noch nicht wirklich vollzogen hatte. Ich musste mich von meinen Eltern lösen, damit meine Tochter sich von mir lösen konnte.
Wie konnte dieser Loslösungsprozess von meinen eigenen Eltern nun in Gang kommen? Und wie konnte ich das auf eine gute Art und Weise tun, ohne meine Eltern, die schon über 70 waren, vor den Kopf zu stoßen? Schließlich ging es hier um meine Haltung und um meinen Reifungsprozess. Und meine Eltern hatten ja nicht alles falsch gemacht und dafür gebührte ihnen Respekt.
Aber wie kann das aussehen, sich von den Eltern zu lösen und sie trotzdem zu respektieren? Ich behaupte, dass es Kindern nur aus einer gesunden Distanz heraus gelingen kann, sich zu lösen und ihre Eltern zu respektieren. Denn diese Distanz ist notwendig, um den Eltern gegenüber Dankbarkeit zu zeigen, und sie alleine für die Tatsache zu respektieren, dass sie einem das Leben geschenkt haben. Diese Distanz ist auch notwendig, wenn wir unseren Eltern Anerkennung und Wertschätzung entgegenbringen wollen, insbesondere wenn wir uns mit ihrer Geschichte auseinandersetzen wollen, die häufig durch die Kriegs- und Nachkriegszeiten geprägt und teilweise traumatisch belastet ist. Und diese Distanz kann auch hilfreich sein, wenn die Versorgung der Eltern ansteht, wenn sie nicht mehr für sich selber sorgen können.
Aber wie gelange ich zu einer gesunden Distanz? Ich musste mehrere Punkte für mich klären:
Wie häufig wünsche ich mir Kontakt zu meinen Eltern?
Wie sieht dieser Kontakt aus? (z.B. regelmäßige Telefonate, Besuche, Einladungen)
Auf welche Weise kann ich die persönlichen Kontakte zu meinen Eltern gestalten? (z.B. Erwartungen vorher klären, nicht im „Kinderzimmer“ übernachten, etc.)
Von welchen Erwartungen meiner Eltern muss ich mich distanzieren?
Welchen Forderungen meiner Eltern muss ich mich entgegenstellen?
Welche Werte meiner Eltern teile ich und welche nicht?
Wie haben mich meine Eltern geprägt in meinem eigenen Eltern sein?
Was habe ich unreflektiert von meinen Eltern übernommen und möchte es jetzt ablegen?
Welche Rolle habe ich in meiner Herkunftsfamilie gespielt und möchte ich aus dieser Rolle aussteigen oder sie beibehalten?
Wie kann ich meinen Eltern Respekt zeigen?
In welchem Rahmen kann ich mir vorstellen, meine Eltern zu versorgen, wenn sie es selber nicht mehr können?
Ich bin dabei nach und nach eine gute und gesunde Distanz zu meinen Eltern zu schaffen. Gleichzeitig hoffe ich aber auch, dass meine Kinder es gut hinbekommen, diese Distanz zu mir aufzubauen. Ich wünsche mir, dass meine Kinder es schaffen, mir auf Augenhöhe zu begegnen und mit uns Eltern einen Kontakt zu pflegen, der für beide Seiten eine Bereicherung und keine Belastung ist. Und ich wünsche mir, dass meine Kinder mir irgendwann auch Respekt entgegenbringen können. Das heißt, ich habe es noch nicht ganz geschafft. Denn Distanz schaffen zu den Eltern und Distanz zulassen zu den eigenen Kinder ist eine Herausforderung und ein Spagat. Aber ich bin sicher, die Anstrengung lohnt sich!
*ZSE, 26 (2006) 1, S. 23 – 35
Quelle: openPR
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