Freispruch trotz 1,75 Promille am Steuer?
Siegfried lässt anscheinend keinen Fettnapf aus. Kürzlich wurde er vom Landgericht wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer empfindlichen Geldstrafe und zum Entzug des Führerscheins verurteilt. Er wurde morgens um 9 Uhr auf einem Seitenweg in seinem Fahrzeug bei laufendem Motor über sein Lenkrad gebeugt, fest schlafend, mit 1,75 Promille Blut-Alkohol angetroffen.
Mit dem Urteil war Siegfried nicht einverstanden, denn er konnte sich nicht erinnern, wie es zu dieser Situation gekommen war. Er verweigerte gegenüber der Polizei und auch vor Gericht die Aussage und blieb dabei, dass er keine Aussagen treffen könne, weil er sich an nichts erinnere. Diese Lebensweisheit hatte ihm sein Großvater eingeschärft, als er noch ein Kind war, für den Fall, dass er in eine schwierige Situation geraten sollte. An diesen Rat hielt sich Siegfried, schließlich hatte sein Großvater viel Lebenserfahrung, und ihm vertraute Siegfried bedenkenlos.
Jetzt brauchte Siegfried guten Rat, denn er wollte in Berufung gehen. Er schilderte Rudi seinen Fall und bat ihn um seine Meinung.
Rudi fand heraus, dass das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) mit Beschluss vom 21.09.2004 in einem ähnlichen Fall das Urteil des Landgerichts aufgehoben und den Autofahrer frei gesprochen hatte. Auch die Entziehung der Fahrerlaubnis wurde aufgehoben. Das OLG Karlsruhe führt zur Begründung aus, dass die Verurteilung wegen Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) nach heute herrschender Rechtsprechung voraussetzt, dass das Fahrzeug in alkoholisiertem Zustand in Bewegung gesetzt wurde.
Früher war es bereits strafbar, wenn man den Motor angelassen, die Handbremse gelöst oder den Scheinwerfer eingeschaltet hatte. Da in jenem OLG-Fall dem Schlummernden nicht nachgewiesen werden konnte, dass er sich mit seinem Fahrzeug bewegt hatte, war er wegen Trunkenheit im Verkehr freizusprechen. Es blieb allerdings ein erheblicher Verdacht, dass er mit seinem Auto bereits alkoholisiert von einer bestimmten Gaststätte bis zum Seitenweg gefahren war. Doch auch dies konnte dem Angeklagten in jenem Fall nicht nachteilig angelastet werden. Wegen Trunkenheit am Steuer kann nur verurteilt werden, wer schuldfähig und für die Tat verantwortlich ist. Nach herrschender Rechtsprechung muss ausgeschlossen werden können, dass zum Tatzeitpunkt Schuldunfähigkeit vorlag. Wer schuldunfähig ist, kann auch nicht wegen Trunkenheit im Verkehr verurteilt werden.
In jenem Fall konnte die Schuldunfähigkeit nicht ausgeschlossen werden, weil nicht feststand, zu welchem Zeitpunkt der Autofahrer bis zur Seitenstraße gefahren war. Weil der Autofahrer zum Tathergang keine Angaben gemacht hatte, war es möglich, dass er bereits um Mitternacht unter Alkoholeinfluss zum Seitenweg gefahren war. Für 10.15 Uhr stand in jenem Fall eine Blutalkoholkonzentration von 1,75 Promille fest. Von Mitternacht bis zum Erwachen am Morgen konnten während neun Stunden 0,2 Promille Alkohol im Blut pro Stunde abgebaut werden. Mit einem Sicherheitszuschlag von 0,2 Promille errechnete sich so für Mitternacht eine Blutalkoholkonzentration von 3,75 Promille. Bei einer Blutalkoholkonzentration von 3,75 Promille kann nicht mehr ausgeschlossen werden, dass bei jenem Autofahrer zum Zeitpunkt der Fahrt völlige Schuldunfähigkeit vorlag.
Wäre er also gegen Mitternacht von der Gaststätte zum Seitenweg gefahren, hätte er zu diesem Zeitpunkt bereits so viel Alkohol im Blut gehabt, dass er schuldunfähig war. Wegen Trunkenheit am Steuer konnte er deshalb nicht verurteilt werden. Rudi erklärte Siegfried, dass er sich dennoch nicht sicher fühlen könne, denn damit solche Autofahrer nicht unbestraft bleiben, hat der Gesetzgeber den Tatbestand des Vollrausches (§ 323a StGB) geschaffen. Wegen Vollrausches wird bestraft, wer sich schuldhaft bis zu einem solchen Grad in einen Rausch versetzt, dass der Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit mit Sicherheit erreicht ist.
Aber selbst das konnte in jenem entschiedenen Fall nicht nachgewiesen werden, weil am Morgen nach der Tat „nur“ 1,75 Promille im Blut des Beschuldigten festgestellt wurden, womit ein Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit sicher noch nicht erreicht war.
Siegfried besitzt nach dieser Entscheidung des OLG Karlsruhe gute Aussichten freigesprochen zu werden und den Führerschein zurück zu erhalten. Doch wie steht es mit einer Entschädigung für die Zeit des Führerscheinentzuges?
Auf eine Entschädigung wegen der vorläufigen Entziehung seiner Fahrerlaubnis musste der Autofahrer in jenem Fall des OLG Karlsruhe verzichten, weil er das Eingreifen der Strafverfolgungsbehörde durch das Schlafen im Auto zumindest grob fahrlässig herbeigeführt hatte.
(besprochen/mitgeteilt von Rechtsanwalt Bernhard LUDWIG, Bad Langensalza und Gotha)
Quelle: openPR
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Kategorien: Recht, Urteile
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