BGH: Rechtsfahrgebot dient allein dem Schutz des Gegenverkehrs
Das Rechtsfahrgebot im Straßenverkehr soll sicherstellen, dass der Begegnungsverkehr von Fahrzeugen gefahrlos abläuft und schützt daher nur den auf der Vorfahrtsstraße entgegenkommenden Verkehrsteilnehmer. Das pflichtwidrige Befahren der linken Fahrbahn durch den am fließenden Verkehr teilnehmenden Fahrzeugführer beseitigt nicht die Verpflichtung des aus einem Grundstück auf die Straße Einfahrenden, die grundsätzliche Vorfahrt des fließenden Verkehrs auf der Vorfahrtsstraße zu beachten.
In einem unlängst ergangenen Urteil hatte sich der Bundesgerichtshof mit der Haftungsquotenverteilung im Straßenverkehr zu befassen. Die Klägerin fuhr mit ihrem PKW innerorts und überquerte dabei teilweise die Fahrbahnmitte, so dass sie die linke Fahrspur befuhr. Im Bereich der Ausfahrt eines Behördengeländes kam es auf der linken Fahrspur zu einer Kollision mit dem PKW des Beklagten, der mit einem VW-Bus aus dem Behördengelände auf die Straße einfuhr. Am Pkw der Klägerin entstand ein Schaden von rund 7.000 EUR.
Vorprozessual wurde 2 / 3 des Schadens der Klägerin reguliert. Im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung ging das erstinstanzliche Landgericht ebenfalls von einer Haftungsquote von 75:25 zugunsten der Klägerin aus. Auf die Berufung der Klägerin hin sprach ihr das Oberlandesgericht den vollen Schadenersatz zu, ließ aber die Revision zu, weil in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte die Frage unterschiedlich beurteilt werde, ob ein Verstoß eines vorfahrt- oder vorgangberechtigten Fahrers gegen das Rechtsfahrgebot wegen der Erhöhung der Betriebsgefahr einen Mitverursachungsanteil auslöse.
Der BGH hat die Revision zurückgewiesen. Die Klägerin habe ihr Vorfahrtsrecht nicht deshalb verloren, weil sie über die Mitte der Fahrbahn hinausgefahren sei. Die StVO lege demjenigen, der aus einem Grundstück ausfahre, erhöhte Sorgfaltspflichten auf. Das Vorfahrtsrecht gelte für die gesamte Fahrbahnbreite und der sich im fließenden Verkehr bewegende Vorfahrtsberechtigte dürfe darauf vertrauen, dass ein auf die Vorfahrtsstraße Einbiegender sein Vorfahrtsrecht nicht verletze. Auch wenn die Klägerin pflichtwidrig zu weit links gefahren sei, dürfe sie sich uneingeschränkt auf diesen Vertrauensgrundsatz berufen. Das Rechtsfahrgebot solle lediglich sicherstellen, dass der Begegnungsverkehr von Fahrzeugen gefahrlos ablaufe. Es schütze aber nicht solche Verkehrsteilnehmer, die die Straße überqueren oder in die Straße einbiegen wollen. Von daher sei die vom Berufungsgericht vorgenommene Haftungsverteilung von 100:0 zugunsten der Klägerin nicht zu beanstanden.
BGH, Urteil vom 20.09.2011 – VI ZR 282 / 10
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Erich Gensmantel
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Quelle: openPR
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Kategorien: Recht, Urteile
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